Neuseeland ist anders. Im Vergleich mit der Schweiz sind das Kanada und der Westen der USA natürlich auch, irgendwie. Aber Neuseeland ist wirklich anders. Die Gründe sind zahlreich.
Neuseeland ist anders. Auf den ersten Kilometern vom Flughafen nach Auckland City Center erschreckt mich die Masse von Falschfahrerinnen und Falschfahrern, die mir, dem radikal spurtreuen Radreisenden, rücksichtslos frontal entgegenknallt. Wobei das noch untertrieben ist: Wirklich kritisch betrachtet finden sich ausschliesslich Falschfahrerinnen und Falschfahrer hier. Sie wechseln erst kurz vor knapp auf die richtige Spur, hupen, verwerfen Hände, schimpfen derbe aus offenen Fenstern. Wie nur, so fragt sich der unbescholtene Kurbler, funktioniert hier der Verkehr überhaupt? Holy Shit, der Groschen fällt: LINKSVERKEHR!
Neuseeland ist anders. Das hört, wer sich nach einem Ritt durch eine unerwartet abwechslungreich geformte Topografie (hört das mit diesen verdammten Hügeln denn niemals auf?) platt wie eine Flunder ins Zelt legt. Es heisst, nirgends auf der Welt seien Fauna und Flora so vielfältig wie hier. Schliesst man die Augen und hört aufmerksam zu, identifiziert man ohne ornothologisches Vorwissen locker sieben, acht verschiedene Vogelspezies. Legt man sich zudem mit der Sonne schlafen, erfährt man, was es bedeutet, wenn ein gefiedertes Sinfonieorchester das kleine Abendlied anstimmt anstelle des Streichquartetts, das man üblicherweise in der Heimat hört. Besonders kunstvoll fiedeln Tuis, sie machen schlicht hammergeile Geräusche, manchmal sogar für eine Pizza-Kette: Tui macht den Pizza-Jingle.
Neuseeland ist anders. Taucht man ein in den Inselalltag, spürt man rasch: Entspannt ist man hier. Beer o‘Clock ist auch wochentags gerne schon um vier, wenn die Schweiz nochmal rechtschaffen Luft holt zum produktiven Schlussspurt. Dabei ist die Wirtschaftleistung der Kiwis unter dem Strich gar nicht so schlecht: In der Liste der BIPs pro Kopf weltweit ist Neuseeland dicht dran an Deutschland und Frankreich. Man lebt halt nur einfacher hier, besonders auf der Nordinsel, wo die Temperaturen selbst im Winter wenig tiefer als 15 Grad fallen und die Jahresdurchschnittstemperatur um denselben Dreh liegt (wogegen sie sich in der Schweiz um frische 8 Grad herum bewegt). Ein Ofen in der Küche und ein Chemineé im Wohnzimmer reichen vollkommen, um Füsse und Seele warm zu halten.
Neuseeland ist anders. Auch kurz vor Weihnachten. Denn anstelle tiefgefrorener Weihnachtsmärkte gönnt man sich Strandbesuche mit BBQ. Man feiert Christmas Eve, Christmas Day, Boxer Day, New Year’s Eve. Und fährt eine Woche später, nein, nicht in die Skiferien, sondern in den Sommerurlaub. Die Welt steht Kopf hier, in Echt, weil Südhemisphäre. Weil Norden = warm und Süden = kalt, weil Winter = Sommer und Sommer = Winter.
Neuseeland ist anders. Man liest, seine Beziehungen unter anderem zur USA hätten sich stark abgekühlt, nachdem Frankreich den Greenpeace-Trawler Rainbow Warrior im Hafen von Auckland versenkt habe. Der rüstete sich gerade für die Fahrt zum Moruroa-Atoll, zum Protest gegen die atomare Probezündelei der Grande Nation im Südpazifik. Man liest, das sei noch nicht der eigentliche Grund für das frostige politische Klima gewesen, erst das Schweigen der vermeintlichen Verbündeten habe den Kiwis die internationale Kooperation unter dem Lead der USA etwas säuerlich werden lassen. Neuseeland antwortet mit einem Tschüssi, ihr Lieben. Man liest, für die USA seien die Kiwis diese Tage nicht mehr allies, sondern lediglich friends.
Neuseeland ist anders. Man kommt hier bald zur Sache: Wenig Geplänkel, Anweisungen kommen unumwunden. Helvetisch-diplomatisches Geschick (Kritik bitte konstruktiv, Konjunktive ganz gross, Fragen stellen wir so: „Würd’s dir alläfalls öppis uusmache, wenn X nöd grad sofort, sondern chli schpööter? Nöd? Bisch sicher?“) ist hier überflüssig. “Bring me the box over there” ist aber auch nicht ohne. Geht schnell. Ist direkt. Derart beschafft man sich überdies auch mal Information zum bisherigen Verlauf eines Neuseelandaufenthalts in sexueller Hinsicht: Eine Kiwimatrone (nennt sich Scary und der Name passt so was von) fragt mich, 1. woher ich komme, 2. wie lange ich in Neuseeland sei und 3. – kann man so machen, muss man aber nicht – ob ich schon eine New Zealand cunt gehabt habe. Des Englischen nicht mächtige, besonders sensible Gemüterinnen und Gemüter sparen sich den Gang zum Wörterbuch. Der Ausdruck lagert in einer der untersten Schubladen der Kategorie Slang. Er bedeutet: Neuseeland ist anders.